German Absract: Der Beitrag, der auf dem Referat des Autors bei der Zweijahrestagung der Deutschen Gesellschaft für Internationales Rechts in Luzern beruht, behandelt die Immunität von Staatsbediensteten von der Gerichtsbarkeit anderer Staaten. Diese Immunität steht im Spannungsfeld zweier Strukturprinzipien des Völkerrechts: der souveränen Gleichheit der Staaten und deren territorialer Souveränität. Die funktionelle Immunität der Staatsbediensteten folgt aus der Immunität der Staaten und damit aus dem Strukturprinzip der souveränen Gleichheit der Staaten. Sie war ursprünglich absolut. Alle Einschränkungen müssen auf Völkergewohnheitsrecht oder Vertrag beruhen. Die Beweislast obliegt dem Staat, der (weitere) Einschränkungen der funktionellen Immunität geltend macht. Die personale Immunität der Staatsbediensteten ist eine Folge der territorialen Souveränität der Staaten. Innerhalb seines Territoriums hatte der Staat ursprünglich absolute Gerichtsbarkeit über alle Personen. Die Immunität von der Gerichtsbarkeit für Staatsbedienstete, die sich im Territorium eines anderen Staates aufhalten oder dort handeln, muss durch Völkergewohnheitsrecht oder Vertrag begründet werden. Die Beweislast obliegt dem Staat, der eine (weitere) Ausdehnung der personalen Immunität geltend macht. Sowohl die funktionelle als auch die personale Immunität sind Rechte des Staates, nicht der Staatsbediensteten. Diese Rechte erlöschen mit dem Untergang des Staates, nicht aber durch dessen vorübergehende Handlungsunfähigkeit.
Das Völkerrecht ist geprägt durch die Relativität der Rechtsbeziehungen. Dies gilt auch für die Immunität der Staatsbediensteten. Für Handlungen von Staatsbediensteten im Gerichtsstaat wird die funktionelle Immunität durch die personale Immunität als lex specialis verdrängt. Insbesondere handelt es sich bei der fortwirkenden personalen Immunität nicht um funktionelle Immunität. Der Umfang der personalen Immunität ist nicht absolut und richtet sich nach dem jeweils privilegierten Staatsbediensteten. Er wurde sowohl ratione materiae als auch ratione personae ausgeweitet als Antwort auf die Ausdehnung der exterritorialen Gerichtsbarkeit und die Einschränkung der funktionellen Immunität.
In einem Entwicklungsprozess, der Ende des 19. Jh. begann, haben sich allgemein gültige völkergewohnheitsrechtliche Ausnahmen von der funktionellen Immunität für nichthoheitliche Amtshandlungen sowie für Kriegsverbrechen, Verbrechen gegen die Menschlichkeit und Völkermord herausgebildet. Weitere Einschränkungen der funktionellen Immunität vor staatlichen Strafgerichten sind nicht durch rein theoretische Überlegungen zu begründen, sondern durch eine entsprechende von der notwendigen Rechtsüberzeugung getragene weitgehend einheitliche Staatenpraxis nachzuweisen. Insbesondere die vier verschiedenen von den Richtern des House of Lords im Fall Pinochet gelieferten Begründungsansätze sind bereits dogmatisch kein gangbarer Weg zur Einschränkung der funktionellen Immunität. Gleiches gilt für den Immunitätsentzug als Gegenmaßnahme. Das Urteil im Fall Pinochet und andere nationale Gerichtsentscheidungen können den Anfang eines neuen völkergewohnheitsrechtlichen Entwicklungsprozesses markieren, bilden aber nicht dessen Abschluss. Da Einschränkungen der funktionellen Immunität auf Völkergewohnheitsrecht oder Vertrag beruhen, können sich diese für verschiedene Staatsbedienstete, Handlungen und Gerichtsbarkeiten unterschiedlich entwickeln. Eine Einschränkung der funktionellen Immunität der Staatsbediensteten muss nicht notwendigerweise mit der Einschränkung der Immunität des Staates einhergehen.
Die Staaten verschließen sich nicht den politischen Realitäten. Die Einschränkung der funktionellen Immunität vor staatlichen Gerichten führt zur Herausbildung einer oftmals politisch kontrollierten „de facto-Immunität“ durch Beschränkungen der Gerichtsbarkeit nach dem Weltrechtsprinzip und zu einer an Rechtsmissbrauch grenzenden Überdehnung des Begriffs der „Spezialmission“.
Es gibt keinen generellen Immunitätsausschluss vor internationalen Strafgerichten oder sog. internationalisierten (nationalen) Strafgerichten. Die Frage der Immunität richtet sich in jedem Einzelfall nach der Rechtsgrundlage der ausgeübten Gerichtsbarkeit, dem in Frage stehenden Verbrechen und dem Begehungsort der Tat. Der Wegfall der funktionellen Immunität vor dem Internationalen Strafgerichtshof wird durch die fragwürdige, von den Eigeninteressen einzelner Sicherheitsratsmitglieder geleitete Schaffung von „de facto-Immunität“ für die Bediensteten von Nichtvertragsparteien durch den UN-Sicherheitsrat konterkariert und durch den rechtlich bedenklichen Abschluss von sog. „Artikel 98-Übereinkünften“ durch die Staaten umgangen.
Weitere Einschränkungen der funktionellen und personalen Immunität werden zur Vermeidung politischer Verwicklungen und im Interesse der Funktionsfähigkeit der zwischenstaatlichen Beziehungen mit großer Wahrscheinlichkeit durch eine Ausweitung von „de facto-Immunität“ und andere „Umgehungsmaßnahmen“ kompensiert werden.
English Absract: This paper, presented at the Bi-annual Meeting of the German Society of International Law in Lucerne, sets out the law on the immunity of State officials. It is argued that the immunity of State officials from the jurisdiction of other States exists at a crossroads between two of the structural principles of international law: the sovereign equality of States and their territorial sovereignty. The functional immunity of State officials is a corollary of State immunity, which in turn follows from the structural principle of the sovereign equality of States. This immunity was originally absolute. All restrictions must be established by customary international law or treaty law. States that argue for (further) restrictions to functional immunity have the burden of proof. The personal immunity of State officials is a corollary to the territorial sovereignty of States. Originally, a State had absolute jurisdiction over all persons within its territory. The immunity from jurisdiction for State officials who are present or active in the territory of another State must be established by customary international law or treaty law. States that argue for (further) extensions of personal immunity have the burden of proof. Both functional and personal immunity are rights of the State, not the State officials. These rights cease to exist with the collapse of the State, but not through a State’s temporary inability to act.
International law is characterised by the relativity of legal relationships. This is also true for the immunity of State officials. For the acts of State officials in the forum State, functional immunity is replaced by personal immunity as lex specialis. In particular, residual personal immunity is not a case of functional immunity. The scope of personal immunity is not absolute and is determined based on the individual status conferred to the State official concerned. It has been extended both ratione materiae and ratione personae in response to the extension of extra-territorial jurisdiction and the restrictions placed on functional immunity.
In a process of development that began during the end of the 19th century, generally valid exceptions to functional immunity under customary international law were created for acts not performed in the exercise of sovereign authority. The exceptions also extend to war crimes, crimes against humanity and genocide. Further restrictions to functional immunity from the jurisdiction of national criminal courts are not to be founded on purely theoretical considerations, but rather through evidence of consistent State practice based on a corresponding opinio juris. The four different approaches adopted by the Law Lords in their speeches in the Pinochet case before the House of Lords, in particular, are doctrinally unsound as a means of restricting functional immunity. The same is true for a restriction to immunity as a counter-measure. The judgment in the Pinochet case and other national court decisions could mark the beginning of the development of new customary international law, but not mark its conclusion. As restrictions to functional immunity are based on customary international law or treaty law, they could develop differently for different State officials, acts or jurisdictions. A restriction of the functional immunity of State officials must not necessarily be accompanied by restrictions to State immunity.
States are not insensitive to political realities. The restriction of functional immunity before national courts leads to the development of an often politically controlled “de facto immunity” through limitations to universal jurisdiction and an extension of the term ‘special mission’ that borders on abuse of right.
There is no general exclusion of immunity before international criminal courts or so-called internationalised (national) criminal courts. In every individual case, the question of immunity is governed by the legal basis for the exercise of jurisdiction, the crime in question and the place where the offence was committed. The loss of functional immunity before the International Criminal Court is being thwarted by the questionable and self-interested actions of individual UN Security Council members through the creation of “de facto immunity” for State officials of non-parties of the Rome Statute, as well as the legally dubious conclusion of so-called “Article 98 agreements” by States.
It is likely that further restrictions to functional and personal immunity will be countered by broadening the scope of “de facto immunity” and other “means of circumvention”, in order to avoid political complications and to ensure the proper functioning of international relations.
Note: Downloadable document is in German.
Thursday, October 9, 2014
Talmon: Immunität von Staatsbediensteten (Immunity of State Officials)
Stefan A.G. Talmon (Univ. of Bonn - Law) has posted Immunität von Staatsbediensteten (Immunity of State Officials) (Berichte der Deutschen Gesellschaft für Internationales Recht, Vol. 46, pp. 313-376, 2014). Here's the abstract: